„Würde ist mehr als ein Konjunktiv“ – Palliativ- und Hospiz-Netzwerktag mit 130 Teilnehmern ein voller Erfolg
„Herausforderung Sterbewunsch“ stand als Motto über einer fünfstündigen Veranstaltung des im Mai vergangenen Jahres in Ostholstein gegründeten Palliativ- und Hospiznetzwerkes. In der Aula des Eutiner Voß-Gymnasiums trafen sich am letzten Samstag (20. Januar 2024) rund 130 Vertreter aus Politik sowie Pflegende, Ärzte, Therapeuten und Ehrenamtliche, die während ihrer Tätigkeiten oftmals vor besonderen Herausforderungen stehen, wenn Sterbewünsche geäußert werden. Die Teilnehmenden hörten Vorträge von renommierten Spezialisten unterschiedlicher Fachgebiete, die den Umgang mit einer derart schwierigen Thematik aus verschiedenen Blickwinkeln erläuterten. Zuhörerin war auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Bettina Hagedorn. Sie ist die Schirmherrin des Netzwerkes und hat es sich mit zur Aufgabe gemacht, die Themen „Tod und Sterben“ aus der gesellschaftlichen Tabuzone zu holen.
„Selbst wenn nichts mehr zu machen ist, können wir noch viel tun!“ hatte die Netzwerkkoordinatorin Sabine Grein ihren Vortrag überschrieben. Dem vom Kreis Ostholstein finanziell unterstützten Netzwerk gehören als Träger das Sankt Elisabeth Krankenhaus Eutin, die Diakonie Ostholstein sowie das Ärztenetz Eutin-Malente an. Ziel aller Bemühungen sei eine Optimierung der Hospiz- und Palliativarbeit. Grein erläuterte, dass die Grundlage der palliativen Versorgung ein ganzheitlicher Betreuungsansatz sei, an dem viele Professionen beteiligt sind. Ein funktionierendes Netzwerk erlaube es, den Menschen in allen seinen Dimensionen zu betreuen. Schwersterkrankte litten nicht nur unter den körperlichen Beschwerden. Auch die spirituellen, seelischen und sozialen Bedürfnisse der Betroffenen und ihrer Angehörigen gelte es zu berücksichtigen.
Dazu gehöre auch der Ansatz einer Selbstbestimmtheit bis in den Tod hinein, referierte Chefärztin und Palliativmedizinerin Dr. Barbara Schubert aus Dresden. „Wir als Ärzte müssen es aushalten, dass Menschen nicht mehr leben wollen. Das Sterben ist für viele Patienten Schwerstarbeit und unheimlich anstrengend“, berichtete sie aus ihrer Praxis. Der am häufigsten geäußerte Sterbewunsch basiere dabei nicht auf Schmerzen, denn die könnten oftmals gelindert werden. Es seien vielmehr Gefühle der Hoffnungslosigkeit, der Abhängigkeit von Angehörigen oder Angst vor dem Verlust der eigenen Würde. „Würde ist mehr als Konjunktiv“, formulierte die Medizinerin. Es stelle sich die Frage, welchen gesellschaftlichen Wert ein Mensch auch im Alter und im Sterben habe.
Wichtig für Ärzte und Pfleger sei es, Beziehung zum Patienten herzustellen, Interesse zu zeigen, Gefühle zuzulassen und Ängste zu erfragen. Bei Schwerstkranken in existentiellen Notlagen müssten auch Todeswünsche angesprochen werden. Es gelte zudem, Vereinbarungen zu treffen, etwa mit Fragen wie „Wann treffen wir uns wieder?“ oder „Was soll bis dahin geschehen?“. Eine Gesellschaft sei unmenschlich, wenn die Menschen nicht lernten, Hilfsbedürftigkeit zu akzeptieren, so Dr. Schubert. Trotz intensiver Palliativ Care gebe es immer wieder Sterbewünsche. „Wir dürfen selber nicht Hand anlegen, müssen aber für den Patienten da sein bis zuletzt – egal, für welchen Weg sich der Betroffene entscheidet“, resümierte die Medizinerin.
„Bei allen unseren Themen geht es um die Würde des Menschen“, gab auch Dr. Stephan Flader, Chefarzt des Palliativzentrums im Sankt Elisabeth Krankenhaus Eutin und Moderator des Netzwerktages, zu bedenken. Dies gelte auch für die Teams in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen.
Über das Essen und Trinken am Lebensende referierte die Eutiner Ärztin Dr. Elena Bulanova. Es habe ebenfalls viel mit Würde zu tun. So müsse beispielsweise eine Verweigerung der Nahrungsaufnahme im Sterbeprozess von allen akzeptiert werden.
Rege Podiumsdiskussion mit Bettina Hagedorn (MdB)
In einer abschließenden Podiumsdiskussion gaben Dr. Schubert sowie Daniel Stange, leitender Koordinator der SAPV (Spezialisierte Ambulante Palliativ Versorgung) östliches Holstein, die Eutiner Fachärzte Dr. Klaus Böhme und Dr, Gotthard Bernegger sowie Seelsorgerin Jutta Bilitewski der Schirmherrin und Bundestagsabgeordneten Bettina Hagedorn mehrere Anregungen und Forderungen mit auf den Weg ins politische Berlin.
Der SAPV begleite Sterbende in deren Zuhause, berichtete Stange. Es gebe manchmal Fälle, in denen Sterbewünsche geäußert und in denen Essen sowie Trinken eingestellt werden. „Das ist sehr emotional, und da steckt für uns viel Arbeit dahinter“, so Stange.
Eine weitere Forderung: Auch wenn es auf den Palliativstationen einen höheren Personalschlüssel als in den übrigen Stationen gebe, müsse es doch mehr Zeit für die Teams geben, sich auszutauschen und das Erlebte zu verarbeiten. „Es ist leichter, Menschen gesund zu pflegen, als sie im Sterben zu begleiten“, berichtete die Pastorin Bilitewski.
Die Medizin, so Dr. Bernegger, sei derzeit zu sehr körperlich ausgeprägt. „Die sprechende Medizin muss ausgeweitet werden“, forderte er. Es müsse auch in den Hausarzt- und Facharztpraxen Zeit geben, um emotionale Notfälle erkennen zu können. Zeit fehle zudem für den kollegialen Austausch.
Dr. Böhme erkennt oftmals einen Unterschied zwischen Wunsch und Wille zum Sterben. Um dieses mit den Patienten herauszuarbeiten, seien lange Unterhaltungen erforderlich. „Manches Gespräch dauert dann eben länger“, berichtete er.
Einige Teilnehmende nutzen den Netzwerk-Tag auch zum Unterzeichnen der „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland“.
Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung von dem Singer-Songwriter und Hausarzt Dr. Ludger Iske sowie von dem Pianisten Maxime.